4. Dez. 2017, 14:29 Uhr
medienmitteilung, soziales
Stadt stellt sich der Geschichte der Kinder- und Jugendheime von 1950 bis 1990
Die Stadt Winterthur liess die Geschichte der Winterthurer Kinderheime von 1950 – 1990 durch ein Forschungsteam der ZHAW aufarbeiten. Die Erfahrungen von ehemaligen Heimkindern standen dabei im Zentrum. Entstanden ist ein facettenreiches Buch, das schwierige Kapitel wie Machtmissbrauch oder die Trennung von Geschwistern nicht ausklammert.
Die Stadt Winterthur erteilte 2014 dem Departement Soziale Arbeit an der ZHAW den Auftrag, die Geschichte der Winterthurer Kinderheime von 1950 – 1990 aufzuarbeiten. Ziel war, den damaligen Kindern und Jugendlichen eine Stimme zu geben, ihre individuellen Erlebnisse ins Zentrum zu stellen und den Alltag in den Kinderheimen zu beleuchten. 22 ehemalige Heimkinder stellten sich für längere Gespräche zur Verfügung. Ihre Sicht wurde durch Interviews mit ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ergänzt. Zudem wertete die ZHAW Archivbestände aus und beleuchtete den gesellschaftlichen Kontext der Heimerziehung. Heute erscheinen die Ergebnisse in Buchform als 354. Neujahrsblatt der Winterthurer Bibliotheken.
Einblicke in den Alltag Das Buch gibt anhand zahlreicher Fotos und Zitaten Einblicke in drei Heime: das «Städtische Waisenhaus» (später: Kinder- und Jugendheim Oberwinterthur), das «Sunnehus» für Mädchen und die «Villa Büel», ein Durchgangsheim. Thematisiert werden zum Beispiel der strukturierte Tagesablauf, das Verhältnis zu anderen Kindern und zu Mitarbeitenden oder die herrschenden Erziehungsvorstellungen. Mehrere Interviewpartner/innen berichten, dass sie im Heim Möglichkeiten erhielten, die sie in der Herkunftsfamilie nicht gehabt hätten, so Naturerlebnisse, gemeinsames Spiel, musische und sportliche Förderung. Doch negative Äusserungen überwiegen.
Mangelhafte Infrastruktur und Aufsicht, zu wenig Personal Das Forschungsteam stellte unter anderem fest, dass sich die Heimerziehung an bürgerlichen Familienidealen orientierte und bis in die 70er Jahre paternalistischen Erziehungskonzepten verhaftet war. Problematische Verhältnisse wurden durch mangelhafte Infrastruktur, zu wenig und schlecht ausgebildetes Personal und eine lückenhafte Aufsicht begünstigt. So berichteten mehrere Interviewpartner/innen von körperlicher Gewalt oder sexuellen Übergriffen, die sie in Winterthurer Heimen erleiden mussten. Es sind individuelle Schilderungen, die sich auf einzelne Heime, gewisse Zeiträume und Personen beziehen.
Hinschauen und handeln Mit Betroffenheit blickt der Stadtrat von Winterthur auf das Leid ehemaliger Heimkinder und auf das Versagen städtischer Behördenvertreter, die Verfehlungen nicht in ihrem ganzen Ausmass erkannten und die Kinder nicht davor schützten. Der Stadtrat spricht den Betroffenen sein Mitgefühl aus. Mit der Publikation der Geschichte der Winterthurer Kinder- und Jugendheime werden die Erinnerungen nun der Öffentlichkeit übergeben; dies auch als Beitrag zur wissenschaftlichen Aufarbeitung von Fremdplatzierungen im 20. Jahrhundert. Ehemalige Heimkinder, die vor 1981 körperlichen oder psychischen Missbrauch oder Gewalt erlebt haben, werden zudem vom Stadtarchiv Winterthur dabei unterstützt, ein Gesuch um einen Solidaritätsbeitrag einzureichen. Der Solidaritätsbeitrag ist eine finanzielle Leistung zugunsten von Opfern von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen und wird vom Bund ausgerichtet.
Lernen für Gegenwart und Zukunft Auch heute sind Fremdplatzierungen von Kindern zu deren Schutz manchmal unumgänglich. Seit 1990 hat sich bereits viel verändert: die Ratifizierung der UNO-Kinderrechtskonvention 1997, die Einführung des neuen Kindes- und Erwachsenenschutzrechtes und die Professionalisierung sowohl bei der Ausbildung des Personals als auch bei der Heimaufsicht. Dennoch sind alle Verantwortlichen stets aufs Neue gefordert, den Kindern und Jugendlichen eine Stimme zu geben und ein Umfeld zu schaffen, in dem psychische und körperliche Gewalt und sexueller Missbrauch keinen Platz haben.
«Zusammen alleine» - Bibliographische Angaben und Bezugsquelle «Zusammen alleine. Alltag in Winterthurer Kinder- und Jugendheimen 1950 – 1990». Mit Beiträgen von Clara Bombach, Thomas Gabriel, Samuel Keller, Nadja Ramsauer und Alessandra Staiger Marx. Neujahrsblatt der Stadtbibliothek Winterthur 354, 2018; Stadtbibliothek Winterthur, Chronos Verlag. ISBN 978-3-0340-1378-9, 224 Seiten, 90 Abb. schwarzweiss, Hardcover, 21,5 x 21,5 cm. Verkaufspreis Fr. 44.- (plus Versandkosten).
Zu beziehen bei: Stadtbibliothek Winterthur, Obere Kirchgasse 6, Postfach 132, 8401 Winterthur. Telefon 052 267 51 45, E-Mail: winbib@win.ch oder im Buchhandel.
Die Stadt Winterthur erteilte 2014 dem Departement Soziale Arbeit an der ZHAW den Auftrag, die Geschichte der Winterthurer Kinderheime von 1950 – 1990 aufzuarbeiten. Ziel war, den damaligen Kindern und Jugendlichen eine Stimme zu geben, ihre individuellen Erlebnisse ins Zentrum zu stellen und den Alltag in den Kinderheimen zu beleuchten. 22 ehemalige Heimkinder stellten sich für längere Gespräche zur Verfügung. Ihre Sicht wurde durch Interviews mit ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ergänzt. Zudem wertete die ZHAW Archivbestände aus und beleuchtete den gesellschaftlichen Kontext der Heimerziehung. Heute erscheinen die Ergebnisse in Buchform als 354. Neujahrsblatt der Winterthurer Bibliotheken.
Einblicke in den Alltag Das Buch gibt anhand zahlreicher Fotos und Zitaten Einblicke in drei Heime: das «Städtische Waisenhaus» (später: Kinder- und Jugendheim Oberwinterthur), das «Sunnehus» für Mädchen und die «Villa Büel», ein Durchgangsheim. Thematisiert werden zum Beispiel der strukturierte Tagesablauf, das Verhältnis zu anderen Kindern und zu Mitarbeitenden oder die herrschenden Erziehungsvorstellungen. Mehrere Interviewpartner/innen berichten, dass sie im Heim Möglichkeiten erhielten, die sie in der Herkunftsfamilie nicht gehabt hätten, so Naturerlebnisse, gemeinsames Spiel, musische und sportliche Förderung. Doch negative Äusserungen überwiegen.
Mangelhafte Infrastruktur und Aufsicht, zu wenig Personal Das Forschungsteam stellte unter anderem fest, dass sich die Heimerziehung an bürgerlichen Familienidealen orientierte und bis in die 70er Jahre paternalistischen Erziehungskonzepten verhaftet war. Problematische Verhältnisse wurden durch mangelhafte Infrastruktur, zu wenig und schlecht ausgebildetes Personal und eine lückenhafte Aufsicht begünstigt. So berichteten mehrere Interviewpartner/innen von körperlicher Gewalt oder sexuellen Übergriffen, die sie in Winterthurer Heimen erleiden mussten. Es sind individuelle Schilderungen, die sich auf einzelne Heime, gewisse Zeiträume und Personen beziehen.
Hinschauen und handeln Mit Betroffenheit blickt der Stadtrat von Winterthur auf das Leid ehemaliger Heimkinder und auf das Versagen städtischer Behördenvertreter, die Verfehlungen nicht in ihrem ganzen Ausmass erkannten und die Kinder nicht davor schützten. Der Stadtrat spricht den Betroffenen sein Mitgefühl aus. Mit der Publikation der Geschichte der Winterthurer Kinder- und Jugendheime werden die Erinnerungen nun der Öffentlichkeit übergeben; dies auch als Beitrag zur wissenschaftlichen Aufarbeitung von Fremdplatzierungen im 20. Jahrhundert. Ehemalige Heimkinder, die vor 1981 körperlichen oder psychischen Missbrauch oder Gewalt erlebt haben, werden zudem vom Stadtarchiv Winterthur dabei unterstützt, ein Gesuch um einen Solidaritätsbeitrag einzureichen. Der Solidaritätsbeitrag ist eine finanzielle Leistung zugunsten von Opfern von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen und wird vom Bund ausgerichtet.
Lernen für Gegenwart und Zukunft Auch heute sind Fremdplatzierungen von Kindern zu deren Schutz manchmal unumgänglich. Seit 1990 hat sich bereits viel verändert: die Ratifizierung der UNO-Kinderrechtskonvention 1997, die Einführung des neuen Kindes- und Erwachsenenschutzrechtes und die Professionalisierung sowohl bei der Ausbildung des Personals als auch bei der Heimaufsicht. Dennoch sind alle Verantwortlichen stets aufs Neue gefordert, den Kindern und Jugendlichen eine Stimme zu geben und ein Umfeld zu schaffen, in dem psychische und körperliche Gewalt und sexueller Missbrauch keinen Platz haben.
«Zusammen alleine» - Bibliographische Angaben und Bezugsquelle «Zusammen alleine. Alltag in Winterthurer Kinder- und Jugendheimen 1950 – 1990». Mit Beiträgen von Clara Bombach, Thomas Gabriel, Samuel Keller, Nadja Ramsauer und Alessandra Staiger Marx. Neujahrsblatt der Stadtbibliothek Winterthur 354, 2018; Stadtbibliothek Winterthur, Chronos Verlag. ISBN 978-3-0340-1378-9, 224 Seiten, 90 Abb. schwarzweiss, Hardcover, 21,5 x 21,5 cm. Verkaufspreis Fr. 44.- (plus Versandkosten).
Zu beziehen bei: Stadtbibliothek Winterthur, Obere Kirchgasse 6, Postfach 132, 8401 Winterthur. Telefon 052 267 51 45, E-Mail: winbib@win.ch oder im Buchhandel.